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Writer's pictureLouis Khunti

Fachkräftemangel bei Pflegefachpersonen

Updated: Apr 27, 2022

Relevanz des Skill- and Grademix für eine sichere, effektive und effiziente Pflegequalität


Seit dem vergangenen Jahr ist klar, gut ausgebildete Pflegefachpersonen sind systemrelevant und deren tatsächlich benötigter Stellenanteil unterbesetzt. Dieser Fachkräftemangel dürfte weitgehenden bekannt sein, die tatsächliche Signifikanz der Auswirkungen aber kaum über die Fachkreise hinaus. Was der Mangel an qualifiziertem Fachpersonal wirklich bedeutet, welche Massnahmen nun erforderlich sind und welche Rolle dabei der Skill- und Grademix spielt, wird im folgenden Text eruiert.


Autoren: Louis Khunti

 

Es gibt einige Gründe für die Knappheit an Pflegefachpersonen. Einer davon ist, dass zu wenig Personal ausgebildet wird. Aktuell werden in der Schweiz jährlich nur 3’000, anstatt der erforderlichen 6’000 Pflegefachpersonen beschult [1]. Ein weiterer nennenswerter Punkt ist, dass jede zweite Pflegefachperson vorzeitig aus dem Beruf aussteigt und nicht bis zum Rentenalter arbeitet. Viele tun dies sogar bevor sie 35 Jahre alt sind [1]. Drittens erreichen bis ins Jahr 2030 die geburtenstarken Jahrgänge bis 1964 das Rentenalter [2]. Demnach belastet der demografische Wandel das Gesundheitswesen gewissermassen sogar doppelt.


Gemäss einer Studie, die im Auftrag des Bundes erstellt wurde, fehlen in der Schweiz bis ins Jahr 2030 folglich rund 65'000 Pflegende, davon 29'000 diplomierte Pflegefachkräfte auf Tertiärstufe [3]. Dies entspricht gesamthaft einem erforderlichen Zuwachs von 36 % [1]. Bereits jetzt sind qualifizierte Fachpersonen gesucht wie nie zuvor, insbesondere diplomierte Pflegende. Aktuell sind in der Schweiz knapp 7’000 Stellen vakant, was bedeutet, dass sich die Nachfrage innerhalb von acht Jahren um mehr als 150 % erhöht hat [3,4].


Die Kosten der Spitäler für einen Pflegetag betrugen 2019 im Durchschnitt CHF 2‘053 Franken [5]. Das schweizerische Gesundheitswesen und die politischen Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen sind daher um so mehr gefordert, die Bedarfs- und Ressourcenübereinstimmung zu klären. Diese Herausforderung umfasst folgende vier Aspekte [6]:

  • Zunehmende Komplexität der Fälle, der Methoden sowie der Prozesse

  • Zunehmender Spardruck bei steigenden Kosten mit neuen Anreizmodellen

  • Verschiebung der Ressourcenallokation

  • Verdichtung der Leistungen

Die 220'000 Pflegenden in der Schweiz sind aktuell direkt mit den messbaren Indikatoren im Gesundheitswesen konfrontiert (Tabelle 1), die sich zwischen 1994 und 2018 in der Schweiz zugetragen haben [6].

Tabelle 1: (Quellen: Bundesamt für Statistik 2014; 2019; Schweiz Ärzteztg. 2017;98(13):394–400; OECD 2014 in [6])


Der Fachkräftemangel erhöht das Risiko für Patientinnen und Patienten

Der schweizerische Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) rückte im vergangenen Herbst durch die Publikation eines Factsheets ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Die publizierten Ergebnisse aus einer Analyse von 1.2 Millionen Schweizer Patientendaten zusammen mit der Intercare Studie der Universität Basel belegen evidenzbasiert, dass sich durch qualifizierte Pflegende, Gesundheitskosten von mindestens 1.5 Milliarden Franken jährlich einsparen lassen [4,7,8]. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, bräuchte es jedoch erhebliche Anpassungen im jetzigen Finanzierungsmodell und dem bestehenden Gesundheitssystem.


Ein Mangel an gut ausgebildetem Pflegefachpersonal erhöht die Risiken von Patientinnen, Klienten und Bewohnern und kann somit zu einem Anstieg der Gesundheitskosten führen. Stellt ein Spital weniger als 9.5 Pflegestunden pro Tag mit einem Anteil von weniger als 75 % diplomiertem Pflegefachpersonal, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für unerwünschte Ereignisse sowie der Sterblichkeit um mehr als 2 % [8,9].


Eine noch grössere Korrelation besteht bei physiologischen- und metabolischen Entgleisungen. Je geringer der Anteil diplomierter Pflegefachpersonen ist, umso länger wird die Liegedauer [8]. Wenn weniger als 10.0 Pflegestunden/pro Bettentag geleistet werden und diplomierte Pflegefachkräfte davon weniger als 88 % leisten, so führt dies schweizweit zu mehr als 223'020 Pflegetagen in den Spitälern und damit zu Mehrkosten von 357 Millionen Franken pro Jahr [4,8].


In Pflegeheimen liessen sich durch gut ausgebildetes Fachpersonal und frühzeitig erbrachten Pflegeleistungen 42 % der Hospitalisationen und den daraus entstehenden Folgekosten von bis zu 100 Millionen Franken pro Jahr vermeiden. Ein Wachstum an Pflegeleistungen führt demnach nicht zu Mehrkosten, sondern, unter Einbezug des ambulanten Bereichs, zu einer zusätzlichen Kostenreduktion von rund 1.5 Milliarden Franken pro Jahr [4,8].


Apell an gesundheitspolitische Entscheidungsträgerinnen und Arbeitgeber

Um Herausforderungen wie den Mangel an Pflegefachpersonen bewerkstelligen zu können [10], ist es zudem wichtig, Studienerkenntnisse zu berücksichtigen. Damit Pflegefachpersonen sich einen langfristigen Verbleib im Beruf vorstellen können, verlangt ein grosser Teil der Berufseinsteigenden eine Verbesserung ihrer Arbeitssituation. Sie erwarten mehrheitlich einen bessern Lohn, für sie passendere Arbeitszeiten, optimalere Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine stärkere Unterstützung durch das Management [10,11].


Um dem Verlust der Pflegequalität entgegenzuwirken, setzt sich der SBK für eine Quote von 75 bis 80 % an diplomiertem Pflegefachpersonal in den Spitälern ein. Gemäss des Spitalverbandes H+ gibt es schlicht nicht genug diplomiertes Pflegefachpersonal auf dem Arbeitsmarkt. Als erschwerend erweist sich auch der enorme Kostendruck. Um Kosten zu senken, besetzen Gesundheitsdienstleister wie Spitäler und Pflegeheime laut SBK offene Stellen mit günstigem Personal, anstatt mit gut ausgebildetem diplomiertem Pflegefachpersonal [4].


Preiswertere Pflegende sind jedoch weniger gut ausgebildet und verfügen nicht über die erforderlichen Kompetenzen. Einerseits sieht der Spitalverband H+ kein Qualitätsproblem, andererseits werden die gewonnenen Studienerkenntnisse nicht angezweifelt. Zudem setzt sich auch der Spitalverband für einen geeigneten Skill- and Grademix in den Teams ein [4]. Eine kongruente Ansicht des SBK und vom Spitalverband H+ in Bezug auf die Relevanz des Skill- and Grademix ist somit gegeben. Welche Beachtung einem fundierten Skill- and Grademix jedoch zukommt, um Ressourcen effektiv und effizient einzusetzen allerdings nicht. Daher muss ein ausgewogener, Skill- and Grademix bei der Bewältigung des Fachkräftemangels bei Pflegenden als begründete Chance, zwingend Traktandums einer Strategie sein.


Wer soll wann und wo eingesetzt werden

Ein wichtiges Prinzip innerhalb eines intraprofessionellen Pflegeteams ist es, die richtige Pflegeperson zum richtigen Patienten zuzuteilen, um die richtigen Dinge richtig zu tun [6].

Diplomierte Pflegefachpersonen (HF/FH) steuern den Pflege- und Arbeitsprozess und sind verantwortlich für die fachgerechte Durchführung der Pflege. Nicht diplomierte Pflegende (FaGe/AGS) unterstützen selbstständig oder nach Anweisung bei der Durchführung von Pflegehandlungen [6].


Um nachvollziehen zu können, worum es beim Fachkräftemangel von Schweizer Pflegenden geht, ist es wichtig, folgenden Ausschnitt der Ausbildungs- und Kompetenzniveaus zu verstehen. (s. Tabelle 2) [6].

  • Fachangestellte Gesundheit (FaGe), Eidg. Fähigkeitszeugnis

  • Assistenten Gesundheit und Soziales (AGS), Eidg. Berufsattest

  • Diplomierte Pflegefachpersonen (HF), Höhere Fachschule

  • Diplomierte Pflegeexperten-/innen (FH), BSc / MSc Fachhochsule

Tabelle 2: Auszug bedeutsamer Ausbildungs- und Kompetenzniveaus von Pflegenden in der Schweiz (Quelle: [6]). Eine Gesamthafte übersicht aller Gesundheitsberufe finden Sie unter odasante.ch .

Fazit

Wenn zu wenig und zu gering ausgebildetes Personal in der Pflege beschäftigt wird, hat dies direkte Auswirkungen auf die Versorgungsqualität und die Sicherheit der Patienten und Patientinnen und verursacht zusätzliche Kosten [8]. Eine bedarfsgerechte und sichere Personalausstattung in Schweizer Spitälern bewirkt eine Reduktion unerwünschter Ereignisse, verhindert ca. 240 Todesfälle und senkt die Kosten um etwa 360 Millionen Franken pro Jahr [8]. Nur wenn pflegerische Leistungen frühzeitig von gut ausgebildetem Pflegefachpersonal erbracht werden, können in der stationären und in der ambulanten Langzeitpflege Kosten von mindestens 1.5 Milliarden Franken pro Jahr vermieden werden [8]. Um das zu erreichen, wird von Arbeitgeber und gesundheitspolitischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger eine reformierte Strategie benötigt. Diese muss in erster Linie zu einer Erhöhung der Attraktivität, in der Pflege zu arbeiten beitragen, sowie die effektiv benötigten Personen welche entsprechende Ausbildungen mit dem geforderten Kompetenzniveau absolvieren fördern [11]. Zudem muss die Strategie durch diese Massnahmen zu einem evidenzbasierten Skill- and Grademix in intraprofessionellen Pflegeteams führen. Nur die systematische Förderung und Implementierung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Pflegepraxis (evidence based nursing) führt jetzt und in Zukunft zu einer sichern, effizienten und effektiven Pflege der Patientinnen und Patienten [8,10].

 

Quellen:

[1] Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Tag der Pflege - Jeder Zweite dreht dem Beruf den Rücken zu [Internet]. https://www.srf.ch/news/schweiz/tag-der-pflege-jeder-zweite-dreht-dem-beruf-den-ruecken-zu.

[2] Credit Suisse. Fachkräftemangel Schweiz: demografische Entwicklung verschärft Lage [Internet]. https://www.credit-suisse.com/ch/de/unternehmen/unternehmen-unternehmer/aktuell/babyboomer-gehen-in-rente-das-verstaerkt-den-fachkraeftemangel.html.

[3] Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Beruf mit hoher Belastung - Pflegefachkräfte – so gesucht wie nie [Internet]. https://www.srf.ch/news/wirtschaft/beruf-mit-hoher-belastung-pflegefachkraefte-so-gesucht-wie-nie.

[4] Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Pflegenotstand - Pflege-Studie zeigt: Spardruck in Spitälern gefährdet Patienten [Internet]. https://www.srf.ch/news/schweiz/pflegenotstand-pflege-studie-zeigt-spardruck-in-spitaelern-gefaehrdet-patienten.

[5] Statistik Bf. Kosten der Spitäler*, 2019 [Kantone] [Internet], Bundesamt für Statistik (BFS). https://www.atlas.bfs.admin.ch/maps/13/de/15713_7301_4425_7264/24580.html.

[6] RN, MSc, EdN, CNS ger. care (Dr. H.-Christian Heering). Skills Grades Delegation: Pflege wissen! Bern; 2019.

[7] INTERCARE Studie – Intercare [Internet]. https://intercare.nursing.unibas.ch/studie/.

[8] Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Männer. Anzahl und Ausbildung von Pflegefachpersonen / Patienten –Auswirkungen auf Qualität und Finanzen: Fact sheet 7 [Internet]. https://www.sbk.ch/files/sbk/Aktuell/docs/2020/2020_01_17_Def_VI__Fact_Sheet_7_DE.pdf.

[9] Qualifiziertes Pflegepersonal verhindert hunderte Todesfälle und könnte Milliarden Gesundheitskosten einsparen [Internet]. https://www.sbk.ch/aktuell/news-single?tx_news_pi1%5Bnews%5D=441&cHash=50a2a7f118f8ebb3ba1f319ca5673727.

[10] Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Pflegeinitiative - Gibt es in der Schweiz einen Pflegenotstand? [Internet]. https://www.srf.ch/news/schweiz/pflegeinitiative-gibt-es-in-der-schweiz-einen-pflegenotstand.

[11] Schaffert R, Robin D, Mahrer Imhof R, Bucher T. Berufslaufbahnen und Berufsrollen in der Pflege aus der Sicht von Berufseinsteigenden. ZHAW Reihe Gesundheit, No. 4. Winterthur: ZHAW Departement Gesundheit; 2015.

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